Niemand mag es, doch alle tun es: Wir stecken einander die ganze Zeit in Schubladen, achten peinlich genau darauf, wie er oder sie denkt, redet, isst, liebt, sich kleidet. Dabei haben Stereotypen auch ihr Gutes. Sie helfen eine Welt zu vereinfachen, die immer komplexer wird. Doch manchmal haben Stereotypen ein hässliches Gesicht. Dann geht es nur darum, im Gegenüber einen «Anderen» zu sehen, von dem man sich abgrenzt und den man abwertet.
Rassismus ist so eine widerliche Fratze. «Damals meinten manche Leute, einige Menschen seien mehr wert als andere. Deshalb teilte man sie in Rassen ein. Manchmal habe ich das Gefühl, dass sie das auch heute noch tun». Rahel Bains schreibt diese Zeilen in einem Brief an ihre Tochter. Sie weiss zu gut, wie es ist, die «Andere» zu sein – allein wegen ihres Aussehens. Und wie man zum blossen Stellvertreter für eine ganze Gruppe wird. Wer nur in Stereotypen denkt – «die Schwarze», «der Muslim» -, verliert den Menschen aus dem Blick. Und wer den Menschen nicht mehr sieht, dem verkümmert sein Mitgefühl.
So gefährlich einfach ist das.
Wie anders? Wir müssten wohl mehr das «Wir» vor Augen haben und auf Gemeinsamkeiten achten, statt auf Differenzen zu pochen. Grosse Worte, ja. Zum Glück gibt es von diesen Gemeinsamkeiten viele. Unsere Verwundbarkeit zum Beispiel. Egal woher du kommst, wie ich aussehe, was er denkt oder wofür sie einsteht, wir alle sind verletzlich. Das ist kein statisches, gleichförmiges «Wir», sondern eines der Vielfalt: Wir alle ähneln einander, doch niemand gleicht dem anderen.
Auszug aus dem Magazin «Surprise» 01/2020